Die IG-POP ist halb Pop-Band, halb Gewerkschaft. Der aktuelle Soundtrack zum Klassenkampf, und wie es sich für richtigen Agitprop gehört, nicht verstellt, sondern immer gleich voll auf die Zwölf.... Der Traum von der Revolution, er lebt.
„IG-POP“ heißt das neue Album von David Julian Kirchner und ist zugleich Name seiner fulminanten Live-Band, bestehend aus 2 Girls und 2 Boys. Nachdem er mit seinem Vorgänger-Projekt Kirchner Hochtief und dem zugehörigen Album „Evakuiert das Ich-Gebäude“ (Staatsakt, 2019) in einem (größen-)wahnsinnigen Kunstprojekt Unternehmer spielte, mitsamt Konkurs und Abwicklung, und damit alle und nicht zuletzt sich selbst komplett überforderte, schlägt sich der Mannheimer Künstler nun auf die Seite der Gewerkschaften: Die IG-POP stellt dabei so etwas wie ein solidarisches Bündnis aller Solo-Selbstständigen und kreativen Kulturarbeiter*innen dar – bzw. formuliert es die Sehnsucht nach einem solchen Bündnis: Raus aus Zwangsindividualisierung.
Es gibt Neuinterpretationen altbekannter Arbeiterlieder, vom „Einheitsfrontlied“ bis zur „Internationale“ oder „Die schlesischen Weber“. Selten klang Heinrich Heine so funky und Erich Weinert so aktuell. Dazu gibt es Songs aus Kirchners eigener Feder, von der IG-POP-Gewerkschaftshymne, über den Flower-Power-Rock aus „Wir gehen in die Sonne“ bis zum Verwaltungsschlager „Papierkramland“ mit Gastarbeiter-Musiker-Legende Ozan Ata Canani. Auf den Pfaden von Devo, Billy Bragg, Franz-Josef Degenhardt, Die Sterne und Heaven17 schafft David Julian Kirchner ein schlüssiges Gesamtkonzept, dass aber auch ohne konzeptionellen Überbau als mitreißendes Pop-Album funktioniert.
Kirchner traut sich, auf „IG POP“ den Klassenkampf in den Mittelpunkt seiner Arbeit zu stellen und verspricht er uns etwa in dem Eisler/Busch-Stück „Der heimliche Aufmarsch“ die sozialistische Weltrepublik, die jedoch in seiner Interpretation mit geisterhaft heruntergepitchter Stimme wie aus einer fernen Vergangenheit in unsere Gegenwart hinüberweht. Interessanterweise eine Thematik, die vielen Leuten in Zeiten der sogenannten Stapelkrise seltsam daneben vorkommt. Keine Zeit für die großen Utopien mehr? Vielleicht.
Doch was, liebe Zweifler*innen, wenn ganz tief unter dem meterhohen Krisenstapel das Hauptproblem tatsächlich nach wie vor in der Verteilung des (materiellen wie informellen) Eigentums an den Produktionsmitteln und der (Selbst-)Ausbeutung der Arbeiter*innen liegt?! Die so banale wie selten angesprochene Erkenntnis also, dass der sich seit Jahrhunderten aufstapelnde Wohlstand von Anfang an instabil und einsturzgefährdet war, um im Bild zu bleiben? Auch wenn die Arbeiter*innen vielleicht nicht mehr direkt vor der eigenen Türe, sondern beispielsweise in Bangladesch ausgebeutet werden und unserer Care-Arbeit heute von Menschen aus Osteuropa für uns vor Ort erledigt wird.
Was also, um noch ein paar Fragen anzuschließen, wenn die Entfaltung der Produktivkräfte durchaus ein Motor des Fortschritts ist, die damit verbundene, ewige Wachstumswirtschaft aber auch maßgebliche Kraft der Mensch-gemachten Klimakatastrophe? Und was ist, wenn uns die Unternehmen aus Silicon Valley und ihre Influencer*innen und alle, die es gern sein würden, in einer endlosen Dauerwerbesendung für Erfolg und individuelle Selbstverwirklichung den ganzen Tag über diese Sachverhalte hinwegtäuschen? Was ist, wenn auch der Pop, möge er noch so links und solidarisch gedacht sein, am Ende doch immer nur in stumpfen Konsum endet? Wo die fossilen Brennstoffe herkommen, braucht man 2022 wohl auch niemandem mehr zu erklären.
Diese Fragen ausgerechnet in einem Infotext für ein Indie-Pop-Album im Jahre 2022 zu stellen, in einer Zeit, in der die politische Linke in nahezu allen Ländern so am Boden und zerstritten scheint, wie nie zur vor, kann man durchaus problematisch finden. Man kann aber genauso gut feststellen, dass keines der alten Arbeiterlieder auf diesem Album an Aktualität verloren haben, wie etwa das „Einheistfrontlied“ aus der Feder von Berthold Brecht: „Und weil der Mensch ein Mensch ist / Drum braucht er was zum essen bitte sehr / Es macht ihn kein Geschwätz nicht satt / Das schafft kein Essen her“
Gegen solche Zeilen kann auch 2022 niemand gegen antweeten! Und digitaler Kapitalismus ist eben auch nur Kapitalismus. Manche würden sogar sagen: ein noch viel Schlimmerer. Was uns direkt zum IG-Pop-Artwork führt:
„Der Avatar, ein Apple Memoji, stellt David dar, wie sich die jungen Kämpfer:-/nnen der TikTok-Kulturrevolution inszenieren: infantilisiert, künstlich und hyper- emotionalisiert. Kleine Schweisstropfen (und sogar eine Träne?) brechen das Bild dezent im Falle des DJK Designs und machen Arbeiter-David fast lebendig, trotz seiner ekligen Apple-Maske. Die Ästhetik ist überzeichnet, manisch, hyper-plastisch und selbstsüchtig, so wie die mediale Blase und so wie jede gute Propaganda. Der Avatar ist die Vermummung des Jetzt!“, schreibt Max Hathaway über sein Design.
Eine erfolgreiche Strategie unserer Zeit scheint übrigens, jegliche Kritik am Kapitalismus und seinen digitalen Plattformen und neuen Spielarten sofort unter Boomer-Verdacht zu stellen. Ja, wer will schon mit den ewig Gestrigen sprechen? Den Hängengebliebenen? Abgesehen davon, dass ihrer Pullis vielleicht ganz chic waren, wenn man heute nur die richtigen Sneakers dazu trägt. Doch wir kommen schon wieder vom Thema ab, bzw. nein eigentlich nicht: Wir befinden uns nur mittendrin in all den vielen Nebenwidersprüchen! Und könnten ewig so weitermachen.
Fassen wir also lieber zusammen: Dieser Text will in der Hauptsache ein Pop- Produkt verkaufen. Die Inhalte im Pop sind im Grunde komplett austauschbar. Sicher sorgt es im Betrieb für eine gewisse Abwechslung, dass wir heute mal ein Album anbieten, das nicht nur klassische Liebes- oder Party-Songs bietet, und mit der Geschichte der Gewerkschaften und Arbeiterlieder mindestens zwei interessante inhaltliche Fäden aufnimmt, abgesehen davon, dass David J. Kirchner selbst eine äußerst interessante Person ist, die aktuell mit der SWR-Produktion „Deutschrand“ in der ARD-Mediathek zu sehen ist. Eine Doku-Serie über die Menschen in der deutschen Provinz, in der Kirchner sich andere Lebensmodelle anschaut und viele Fragen stellt.
„Girls get up, boys boycott! Auf geht’s! Maschinen stop! Probt den Aufstand! Roter Knopf! Alles tanzt wie Iggy Pop! Das ganze Land, unter Schock! Skandal, Skandal die IG-Pop!“
So oder so: Es bleibt das vielleicht größte Rätsel unserer Zeit, warum es gerade der Linken aktuell nicht gelingt, eine politische Agenda zu formulieren, die alle
solidarisch unter einem Dach vereint. Auch davon handelt die IG-Pop. Und auch wenn vermutlich niemand unmittelbar nach dem Hören dieses Albums eine Revolution anzetteln wird, hoffen wir mit dem Album zumindest ein Scherflein zu den aktuellen linken (kultur-)politischen Richtungsfragen beizutragen. Dass die IG- Pop durchaus Party-tauglich ist, wird sie bei ihren vielen Live-Shows unter Beweis stellen können.
"Der Mannheimer Künstler formt aus alten Polit-Gassenhauern und einigen eigenen Songs den aktuellen Soundtrack zum Klassenkampf, und wie es sich für richtigen Agitprop gehört, geht er dabei nicht verstellt vor, sondern immer gleich voll auf die Zwölf.... Der Traum von der Revolution, er lebt." (Musikexpress, 5 Sterne)
„..auf zwölf Songs spielt Kirchner für das Medien- und Kultur Prekariat, also für Kreative im Modell dauerhaften Selbstbetrugs, zwölf Modelle, durch was Widerstand bedeuten kann, was Solidarität, Utopie, und Aneignung. (…) Fast trotzig und in seiner Aufrichtigkeit gelungen irritierend.
(Konkret, Platte des Monats)
„Andere Songs des Konzeptalbums sind kleine Universen, episch wie Beatles-Songs…Ein Akt der Rebellion gegen das gestreamte Einerlei“
(Deutschlandfunk)
„Plastisch, tief und widerborstig“
(Deutschlandfunk)
"In Zeiten, in denen Mussolinis Schüler*Innen in Italien regieren, die meisten Erstwähler*Innen in Deutschland die FDP wählen und ein Tesla-Mann Twitter kauft, braucht es einen mobilisierenden Schnellschuss, die eine europaweit zerstrittene Linke aus ihren Grabenkämpfen befreit. Viele reden, einer macht. Und er rotzt (im positiven Sinn) uns ein Album mit alten Arbeiterliedern hin und es klingt modern..Bertolt Brecht, Heinrich Heine und Erich Weinert klangen noch nie so spannend und nach tanzbarer Neue Deutsche Welle 2.0.“
vinyl-keks.eu
"Mit 'IG POP" liefert der Mannheimer Künstler zwölft Gewerkschaftshits, die - anders als der Albumtitel vermuten lässt - nie ins Selbstironische abdriften.... Auf einmal klingen Brecht, Heine und Erich Weinert nach neuer Deutscher Welle 2.0... schließlich hängt dieses Jahr am Tannenbaum der rote Stern." (Kulturnews, Hightlight des Monats
„Eine gebrochene Aufrichtigkeit und eine Ehrlichkeit, aus der sich viel lernen lässt.“ (Platte des Monats, Kölner Stadtrevue)
"...ein schlüssiges Gesamtkonzept, dass aber auch ohne konzeptionellen Überbau als mitreißendes Pop-Album funktioniert." (popklub.de)
"Kirchner unterscheidet sich von seinen liedermachenden Kollegen durch seinen multimedialen Ansatz (...) Kirchner betrachtet seine Rolle als Musiker demzufolge mit einem gewissen, interdisziplinären - wenn nicht gar nationalem - Anspruch. Das macht sich in vertrackten Kompositionen mit New Wave-Charme und verschachtelten Textkaskaden deutlich..." (gaesteliste.de)